Marcuse, Herbert

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 Herbert Marcuse

* 19.7.1898 in Berlin
+ 29.7.1979 in Starnberg

 


Deutsch-amerikanischer Germanist, Philosoph, Soziologe, Politologe; Schüler von Edmund Husserl und Martin Heidegger; Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung in New York, des Russian Institute der Columbia University, New York; zusammen mit Franz Neumann, Otto Kirchheimer, Friedrich Pollock, Arcadius Gurland, H. Stuart Hughes, Carl Schorske und Barrington Moore u.a. Mitarbeiter in der Research and Analysis Branch des Office of Strategic Services (OSS), Vorläuferinstitution der CIA, in der die us-amerikanische Deutschlandpolitik vorbereitet wurde; Mitwirkung bei der Vorbereitung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse; Professor an der Brandeis University und der University of California

Am OSS Deutschland-Experte für die Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit; am Russian Institute der Columbia University Sowjetunionexperte; Vordenker und Ikone der 68er Studentenbewegung mit dem Buch „Der eindimensionale Mensch“; politisches Engagement gegen den Vietnamkrieg; Freund von Hans Neumann, Rivale von Theodor W. Adorno.

Durch seine kritische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion und als Vordenker der Studentenbewegung trug er zur Spaltung der Linken in den westlichen Ländern bei und lieferte so im Sinne der „Dialektik der Aufklärung“ einen Beitrag zum Kalten Krieg.


Werdegang

geboren am 19.7.1898 in Berlin als Sohn des jüdischen Textilfabrikanten Carl Marcuse (1864-1948) und dessen Frau Gertrude, geb. Kreslawsky (1864-); eine Schwester Else, geb. 1901
1916 Notabitur, Einberufung
1917-1919 Mitglied der SPD
1918 Kriegsdienst im 1. Weltkrieg; Während der Revolution Mitglied des Soldatenrats von Reinickendorf
1918 Beginn des Studiums der Germanistik, Philosophie und Nationalökonomie an der Humboldt-Universität, Berlin (4 Semester) und Freiburg (4 Semester)
1922 Promotion an der Universität Freiburg über das Thema „Der deutsche Künstlerroman“ mit „magna cum laude“
1922-1928 Verlags- und Antiquariatstätigkeit bei S. Marin Fraenkel
1924 Heirat der ersten Frau,  Sophie Wertheim (1901-1951)
1927 Geburt des Sohns Peter Marcuse
1928 Philosophiestudien bei Edmund Husserl und Martin Heidegger, Habilitation bei Heidegger über „Hegels Ontologie und die Theorie der Geschichtlichkeit“ scheitert aufgrund von Differenzen über Heideggers anfänglich positive Einstellung zum Nationalsozialismus
1933 Veröffentlichung der gescheiterten Habilitationsschrift bei Klostermann in Frankfurt, Beginn der Marx-Studien; Nach Vermittlung von Leo Löwenthal Beitritt zum von Max Horkheimer geleiteten Frankfurter Institut für Sozialforschung. Übernahme der Leitung der Zweigstelle des Instituts in Genf
1934 Emigration in die USA
1934-1942 Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung, angegliedert der Columbia University,  New York, 429 West 117th Street
1940 US-Staatsbürgerschaft
1941 Veröffentlichung von „Reason and Revolution“
1942-1945 Mitarbeiter des Office of War Information, dann des Office of Strategic Services (OSS), Vorläuferinstitution der CIA,  in der Abteilung Europa, Unterabteilung Germany/Austria
1942  interne Studie „The New German Mentality“
1945-1951 Mitarbeiter des State Department, Leiter der Europa-Sektion
1950-1951 Vorlesungen an der Washington School of Psychiatry. Vorarbeiten zu seinem Band "Eros and Civilisation"
1951: Marcuses erste Ehefrau Sophie Wertheim stirbt an Krebs
1952-1953 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Russian Institute der Columbia University, New York
1954-1955: Untersuchungen am Russian Research Center der Harvard University in Cambridge/Massachusetts. Hieraus resultiert die Arbeit "Soviet Maxism"
1954-1965 Professor für Philosophie und Politikwissenschaft an der Brandeis University in Waltham, Massachusetts
1955 Veröffentlichung von „Eros and Civilisation“ führt zu Kontroverse mit Erich Fromm
1956: Heirat mit Inge Neumann, geb. Werner
1958 Veröffentlichung von „Soviet-Marxism: A Critical Analysis“
1964-1948 Professor für Politikwissenschaft an der University of California in San Diego
1964 Veröffentlichung seines Hauptwerks „The One-Dimensional Man“
1965 Lehrstuhl an der Universität von Kalifornien in San Diego; außerordentliche Professur an der FU Berlin: Veröffentlichung des Essays "Repressive Tolerant" in dem Sammelband "Kritik der reinen Toleranz"
1966 Eröffnungsreferat auf dem Frankfurter Vietnam-Kongress des SDS
1967 und 1969 Europareisen mit Vorträgen vor studentischem Publikum in Berlin, Paris, London und Rom
10.7.1967 Vortrag im Audimax der FU Berlin zum Thema „Das Ende der Utopie“

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1968 Emeritierung, seitdem internationale Vortragstätigkeit
1969 Kontroverse mit Adorno und Horkheimer über die Studentenbewegung und den Vietnamkrieg
1973 Ehefrau Inge stirbt an Krebs
1976 Heirat mit Erica Sherover
1979 Teilnahme an den Frankfurter Römerberggesprächen. Marcuse stellt unter dem Titel "Die Angst des Prometheus" fünfundzwanzig Thesen zu Technik und Gesellschaft vor.
29.7.1979 Tod infolge eines Hirnschlags während eines Besuchs bei Jürgen Habermas in Starnberg, Überführung der Urne in die USA ohne anschließende Bestattung
2003 Beisetzung der Urne auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, auf dem auch Bertold Brecht, Heinrich Mann, Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel bestattet sind

marcuse
Mitgliedschaften

1917-1919 SPD

Primärliteratur

Werkausgaben

Schriften. 9 Bde. Frankfurt: Suhrkamp 1978-1989. Reprint Springe: zu Klampen 2004.
Bd. 1: Der deutsche Künstlerroman. Frühe Aufsätze
Bd. 2: Hegels Ontologie und die Theorie der Geschichtlichkeit
Bd. 3: Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung 1934-1941
Bd. 4: Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie
Bd. 5: Triebstruktur und Gesellschaft. Ein Philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud
Bd. 6: Die Gesellschafslehre des sowjetischen Marxismus
Bd. 7: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft
Bd. 8: Aufsätze und Vorlesungen 1948-1969.
Bd. 9: Konterrevolution und Revolte. Zeit-Messungen. Die Permanenz der Kunst

Collected Papers of Herbert Marcuse. 6 Bde. Hrsg. Von Douglas Kellner. London: Routledge 1998-2011.349620
Vol. 1: Technology, War and Fascism.
Vol. 2: Towards a Critical Theory of Society.
Vol. 3: The New Left and the 1960s.
Vol. 4: Art and Liberation.
Vol. 5: Philosophy, Psychoanalysis and Emancipation.
Vol. 6: Marxism, Revolution and Utopia.

Nachgelassene Schriften. 6 Bde. Hrsg. Von Peter-Erwin Jansen. Springe: zu Klampen 1999-2009.
Bd. 1: Das Schicksal der bürgerlichen Demokratie.
Bd. 2: Kunst und Befreiung.
Bd. 3: Philosophie und Psychoanalyse.
Bd. 4: Die Studentenbewegung und ihre Folgen.
Bd. 5: Feindanalysen. Über die Deutschen.
Bd. 6: Ökologie und Gesellschaftskritik.

Bücher

Soviet Marxism: A Critical Analysis. New York: Columbia University Press 1958. (deutsch: Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus. Neuwied: Luchterhand 1964.


One-dimensional Man: Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society. Boston: Beacon Press 1964. (deutsch:  Der eindimensionale Mensch. Studie zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Neuwied: Luchterhand 1967)

Mit Robert Paul Wolff und Barington Moore, A Critique of Pure Tolerance. Boston: Beacon Press 1969. (deutsch: Kritik der reinen Tolleranz. Frankfurt: Suhrkamp 1966)

Das Ende der Utopie. Berlin: Maikowski 1967.

Negations: Essays in Critical Theory. With Translations from the German by Jeremy J. Shapiro. Boston: Beacon Press 1968.

An Essay on Liberation. Boston: Beacon Press 1969. (deutsch: Versuch über die Befreiung. Frankfurt: Suhrkamp 1969.

Five Lectures. Boston: Beacon Press 1970.

Counterrevolution and Revolt. Boston: Beacon Press 1972. (deutsch: Konterrevolution und Revolte. Frankfurt: Suhrkamp 1973)

Zeit-Messungen. Drei Vorträge und ein Interview. Frankfurt: Suhrkamp 1975.

Feindanalysen. Über die Deutschen. Einleitung von Detlef Claussen. Lüneburg: zu Klampen erw. Neuaufl. 2007.


Aufsätze

The New German Mentality. (1942) In: Collected Papers. Bd. 1. S. 139-190. Deutsch: Die neue deutsche Mentalität. In: Nachgelassenen Schriften Bd. 5. S. 29-76.

Darstellung des Feindes. (1942). In: Nachgelassene Schriften Bd. 5. S. 77-86.

Recent  Literature on  Communism. In: World Politics 6.1954,2. S. 515-525. (Besprechungsaufsatz)

Dialectic and Logic since the War. In: Ernest J. Simmons (Hrsg.), Continuity and Change in Russian and Soviet Thought. Cambridge 1955. S. 347-358


Debatten/Interviews

Mit Karl Popper, Revolution oder Reform? Eine Konfrontation. Hrsg. Von Franz Stark. München: Kösel 1971.

Habermas, Jürgen/Bovenschen, Silvia u.a., Gespräche mit Herbert Marcuse. Frankfurt: Suhrkamp 1978.

Marcuse über Marcuse. In: Jansen 1989. S. 117ff.


Festschrift

Wolff, Kurt H./Moore, Barrington (Hrsg.), The Critical Spirit: Essays in Honor of Herbert Marcuse. Boston 1967.

Sekundärliteratur

Abromeit, John/Cobb, W. Mark (Hrsg.), Herbert Marcuse: A Critical Reader. New York: Routledge 2004.

Brunkhorst, Hauke/Koch, Gertrud, Herbert Marcuse. Eine Einführung. Hamburg: Junius 1997.

Claussen, Delef (Hrsg.), Spuren der Befreiung – Herbert Marcuse. Ein Materialienbuch zur Einführung in sein politisches Denken. Darmstadt: Luchterhand 1981.

Classen, Detlef, Dem Weltgeist in die Nüstern spucken. Eine Erinnerung an Herbert Marcuse zum hundertsten Geburtstag. In: Tagesanzeiger, Zürich vom 18.7.1998. Auch unter http://www.marcuse.org/herbert/newsevents/1998/987/ClaussenTagesanzeiger.htm

Claussen, Detlef, Kopf der Leidenschaft. Herbert Marcuses Deutschlandanalysen. In: Nachgelassene Schriften Bd. 5, 2007. S. 11-21.

Feenberg, Andrew, Heidegger and Marcuse: The Catastrophe and Redemption of History. New York: Routledge 2005.

Habermas, Jürgen (Hrsg.), Antworten auf Herbert Marcuse. Frankfurt: Suhrkamp 1968.

Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Kritik und Utopie im Werk von Herbert Marcuse. Frankfurt: Suhrkamp 1992.

Jansen, Peter-Erwin (Hrsg.), Befreiung denken – Ein politischer Imperativ. Ein Materialienband zur politischen Arbeitstagung über Herbert Marcuse am 13. Und 14. Oktober 1989 in Frankfurt. Offenbach: Verlag 2000 1989.

Jansen, Peter-Erwin, Deutsche Emigranten in amerikanischen Regierungsinstitutionen. In: Peter-Erwin Jansen/Redaktion Perspektiven (Hrsg.), Zwischen Hoffnung und Notwendigkeit. Texte zu Herbert Marcuse. Frankfurt 1999. S. 39-59.

Jansen, Peter-Erwin, Etablierung im Exil. Herbert Marcuse und Leo Löwenthal in Amerika. In: Monika Boll/Raphael Gross (Hrsg.), Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland. Göttingen 2009. S. 264-277.

Kateb, George, The Political Thought of Herbert Marcuse. In: Commentary 49.1970,1. S. 48-63.

Katz, Barry M., Herbert Marcuse and the Art of Liberation: An Intellectual Biography. London: Verso 1982.

Kellner, Douglas, Herbert Marcuse and the Crisis of Marxism. Basingstoke: Macmillan 1984.

Kellner, Douglas, Marcuse in the 1940s: Some New Textual Discoveries. In: Institut für Sozialforschung 1992. S. 301-311.

Kellner, Douglas, The Unknown Marcuse: New Archival Discoveries. In: Collected Papers. Bd. 1. 1998. S. XIII-XVI.

Kellner, Douglas, Technology, War and Fascism: Marcuse in the 1940s. In: Collected Papers Bd. 1. S. 1-38.

Mattick, Paul, Kritik an Herbert Marcuse. Der eindimensionale Mensch in der Klassengesellschaft. Frankfurt 1969.

Müller, Tim B., Bearing Witness to the Liquidation of Western Dasein: Herbert Marcuse and the Holocaust, 1941-1948. In: New German Critique Nr. 85, 2002. S. 133-164.

Müller, Tim B., Die geheime Geschichte des Herbert Marcuse. In: Ästhetik und Kommunikation Nr. 129/130, 2005. S. 131-141.umschlag_15032

Müller, Tim B., Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg. Hamburg: Hamburger Edition 2010.

Palmier, Jean-Michel, Présentation d´Herbert Marcuse. Paris: U.G.E. 1969.

Palmier, Jean-Michel, Herbert Marcuse et la nouvelle gauche. Paris: Belfond 1973.

Salter, Michael, Critical Theorists and the Preparation for the Nuremberg War Crimes Trials: Re-assessing the Roles Played by Franz Neumann and Herbert Marcuse. In: B. Fine/C. Turner (Hrsg.), The Social Theory after the Holocaust. Liverpool: Liverpool University Press 2000. S. 197-218.

Wolin, Richard, Heidegger´s Children: Hannah Arendt, Karl Löwith, Hans Jonas, and Herbert Marcuse. Princeton: Princeton University Press 2001.


Zum Weiterlesen

Chalou, George C. (Hrsg.), The Secrets War: The Office of Strategic Services in World War II. Washington: National Archives and records Administration 1992.

Feuer, Lewis, The Frankfurt Marxists and the Columbia Liberals. In: Survey 25.1980,3. S. 156-176.

Feuer, Lewis, The Social Role of the Frankfurt Marxists. In: Survey 26.1982,2. S. 150-170.

Marquardt-Bigman, Petra, Amerikanische Geheimdienstanalysen über Deutschland 1942-1949. München: Oldenbourg 1995.

Mauch, Christof, Das Dritte Reich im Visier des amerikanischen Geheimdienstes, 1941-1945. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999.

Middendorf, Stefanie, „Verstoßenes Wissen“. Emigranten als Deutschlandexperten im „Office of Strategic Services“ und im amerikanischen Außenministerium 1943-1955. In: Neue Politische Literatur 46.2001,1. S. 23-52.

Müller, Tim B., Die gelehrten Krieger und die Rockefeller-Revolution. Intellektuelle zwischen Geheimdienst, Neuer Linken und dem Entwurf einer neuen Ideengeschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 33.2007. S. 198-227.

Müller, Tim B., Der Intellektuelle, der aus der Kälte kam. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 1.2007,4. S. 5-18.

Smith, R. Harris, OSS: The Secret History of America´s First Central Intelligence Agency. Berkeley: University of California Press 1972. Neuaufl. Guildford: The Lyons Press 2005.

Wiggershaus, Rolf, Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung. München: dtv 2001.

Sonstiges

Der Nachlaß Marcuses von etwa 40.000 Blatt Material  befindet sich seit 1984 im Archiv der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.

Links

Homepage von Herbert Marcuse mit den Texten seiner wichtigsten Werke auf Englisch und Deutsch unter: http://www.marcuse.org/herbert/

Literatur von und über Marcuse im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek unter: http://portal.d-nb.de/opac.htm?query=Woe%3D118577638&method=simpleSearch

Marcuse-Archiv der Universitäts- und Stadtbibliothek Frankfurt unter http://www.ub.uni-frankfurt.de/archive/marcuse.html

Herbert Marcuse – Zum 25. Todestag (2004) von Sven Oliveira Cavalcanti unter: http://www.sopos.org/aufsaetze/410a9d4c2c4db/1.phtml

Marcuse Archiv im Marxists  Internet Archive unter: http://www.marxists.org/reference/archive/marcuse/

Wissenschaftler und politische Aktivisten, die von Marcuse beeinflusst wurden unter:
http://www.marcuse.org/herbert/scholaractivists.htm

Sven Oliveira Cavalcanti, Herbert Marcuse – Zum 25. Todestag unter: http://www.sopos.org/aufsaetze/410a9d4c2c4db/1.phtml

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