Grewe, Wilhelm Georg Carl
Wilhelm Georg Carl Grewe
*16.10.1911 in Hamburg † 11.1.2000 in Bonn
Die mindestens zwei Gesichter des Wilhelm G. Grewe im Kontext
Kommentierte Chronik des akademischen, beruflichen und politischen Werdegangs mit Schwerpunkt bis 1949 unter besonderer
Berücksichtigung der „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“
Vorbemerkung: Die Selbstangaben Grewes nach 1945 in seinen Entnazifizierungsverfahren und autobiographischen Schriften sind mit Vorsicht zu genießen,
da sie dazu dienten, die Biographie vor 1945 zu schönen und unliebsame Aspekte zu vertuschen.
Vielfach lassen sich diese Selbstangaben durch andere Quellen nicht bestätigen bzw. stehen dazu in Widerspruch
(so auch die Erkenntnis von Lambertz-Pollan 2016). Nach Möglichkeit wurde in der Chronik auf andere Quellen,
das Personenlexikon zum Dritten Reich und die Sekundärliteratur zurückgegriffen. Auch zwischen diesen Vorlagen gibt es zahlreiche Widersprüche,
die nicht immer auszuräumen waren.
Die Vorgabe, daß eine Angabe nur als „wahr“ zu betrachten ist, wenn man mindesten zwei voneinander unabhängige Quellen heranziehen kann,
ließ sich kaum erfüllen. Im Zweifelsfall wurde die plausiblere Angabe verwendet.
Chronik
- 1935 Mitglied des NS-Juristenbundes (ab 1936 NS-Rechtswahrerbund)
- März 1935 – Februar 1936 Wiss. Assistent bei Forsthoff am Seminar für Öffentliches Recht und Staatslehre an der Universität Hamburg
- Mai 1935 – Juli 1939 Gerichtsreferendar in Pinneberg, bei der Staatsanwaltschaft Hamburg, beim Landgericht und Arbeitsgericht Königsberg und beim Kammergericht Berlin
- 20.1.1936 Promotion zum Dr. jur. bei Forsthoff in Hamburg mit der Dissertation „Gnade und Recht“; Prädikat sehr gut
- März 1936 – April 1937 Wiss. Assistent bei Forsthoff an der Universität Königsberg und Dozent an der Ostpreußischen Verwaltungsakademie
- April 1937 – April 1938 Wiss. Referent am Deutschen Institut für außenpolitische Forschung, Berlin; Aufsätze für die Monatshefte für Auswärtige Politik, die Zeitschrift für Politik und das Jahrbuch der Weltpolitik
- 1.4.1938 – 31.3.1940 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) in Berlin
- 27.2.1938 Mitglied des NS-Dozentenbundes
- 27.7.1939 Zweites Juristisches Staatsexamen; Prädikat gut
- 1.9.1939 – 1.12.1941 im „Kriegseinsatz“ als Leiter des Völkerrechtsreferats in der „Deutschen Informationsstelle“ (Auswärtiges Amt); anschließend wegen Hüftleidens vom Kriegsdienst befreit
- Winter 1939/40 – September 1943 Arbeit am Hauptwerk „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“
- 6.3.1940 mit Eingliederung der DHfP in die Universität Berlin Lehrbeauftragter an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät, Abteilung „Rechtsgrundlagen der Außenpolitik“
- 13.3.1941 Habilitation an der Universität Königsberg mit einer Schrift, die 1944 Teil seines Buchs „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“ werden sollte
- 27.10.1941 – 1.12.1942 Dozent an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität
- 1.12.1942 – 1945 a.o. Professor ebd.
- Oktober 1943 nach eigenen Angaben Austritt aus der NSDAP; durch Mitgliederkartei nicht belegt
- Ende 1943 erste Drucklegung des Hauptwerks; am 4.12.43 verbrannt
- 12.12.1943 Erste Ehe mit Marianne Partsch (1957 geschieden)
- November 1944 Ernennung zum o. Professor ebd.; wegen fehlenden Ariernachweises der Ehefrau Ernennungsurkunde nicht ausgehändigt (nach eigenen Angaben)
- 20.11.1944 Vorwort zur zweiten Drucklegung des Hauptwerks im Frühjahr 1945 (unklar, ob noch erschienen)
- 23.10.1945 - 16.2.1947 Vertretung des Lehrstuhls für Öffentliches Recht der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen
- 17.2.1947 Vertretung des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht an der Universität Freiburg
- 8.7.1948 im Entnazifizierungsverfahren als „entlastet“ eingestuft
- 13.4.1949 mit Wirkung zum 1.2.1949 Ernennung zum o. Professor
- 1948-1949 Dekan der Juristischen Fakultät in Freiburg
- 1949 Mitglied des Beraterkreises von Adenauer, der in Personalunion bis zur Gründung des Außenministeriums 1951 auch für die Auswärtigen Beziehungen zuständig war
- 1.5.1951-1955 Vorsitz der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zur Beendigung des Besatzungsstatuts, die zur Unterzeichnung des Deutschlandvertrages führten
- 15.9.1953 – 14.4.1954 Kom. Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt
- 15.12.1953 Sonderbevollmächtigter der Bunderegierung bei der Außenministerkonferenz in Berlin
- 1954-1991 Mitglied des Schiedsgerichtshofs (Permanent Court of Arbitration) in Den Haag
- Juli – November 1955 Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung bei den Genfer Gipfelkonferenzen
- 11.6.1955 Ministerialdirektor und Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes
- 1956 Stellv. Staatssekretär im Auswärtigen Amt als Vertreter Walter Hallsteins, Initiator und Autor der Hallstein-Doktrin zur Unterbindung der diplomatischen Anerkennung der DDR durch Drittstaaten<
- 15.2.1958 - 1962 Botschafter in Washington
- 31.7.1958 zweite Ehe mit Gertrude Leopoldine Winter
- 23.10.1962 - 1971 Botschafter bei der NATO in Paris, ab 1967 in Brüssel
- 20.1.1971 – 31.10.1976 Botschafter in Tokyo (ab 1974 auch für die Mongolische Volksrepublik)
- 1976 nach der Pensionierung Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Tätigkeit
- 1988-1995 dreibändige Edition von Quellen zur Völkerrechtsgeschichte (Fontes Historiae Iuris Gentium)
- 11.1.2000 gestorben in Bonn
- 2000 englische Ausgabe des Hauptwerks „Epochs of International Law“
Ehrungen
- 1957 Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich
- 2000 Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der BRD
Mitgliedschaften und diverse NS-Organisationen
- 1933-1943 NSDAP und diversen NS-Organisationen (NS-Schülerbund, NS-Studentenbund, NS-Juristenbund bzw. NS-Rechtswahrerbund, NS-Dozentenbund)
- 1954-1991 Ständiger Schiedshof in Den Haag
- 1955 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)
Bücher
- Gnade und Recht. Hamburg: Hanseatische Verl. Anstalt 1936 (Dissertation)
- Der 3. Wirtschaftskrieg. Berlin: Juncker u. Dünnhaupt 1940. 92. S.
- Probleme des Luftkriegsrechts. Königsberg: Ost-Europa Verl. 1942.
- Epochen der Völkerrechtsgeschichte. Leipzig: Koehler & Amelung 1945.
- Nürnberg als Rechtsfrage. Eine Diskussion. Stuttgart: Klett 1947.
- Ein Besatzungsstatut für Deutschland. Stuttgart: Koehler 1948.
- Von der Kapitulation zum Deutschlandvertrag. Stuttgart: DVA 1952.
- Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik. Berlin: De Gruyter 1954.
- Deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit. Stuttgart: DVA 1960
- Spiel der Kräfte in der Weltpolitik. Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen. Düsseldorf: ECON 1970.
- Die außenpolitische Lage Deutschlands am Beginn der achtziger Jahre. Berlin: Duncker u. Humblot 1982
- Friede durch Recht? Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 23. Januar 1985. Berlin: De Gruyter 1985.
- Die deutsche Frage in der Ost-West-Spannung. Zeitgeschichtliche Kontroversen der achtziger Jahre. Herford: Busse-Seewald 1986.
- Gipfeldiplomatie seit Roosevelt und Stalin. Melle: Knoth 1987.
- Die amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen seit Roosevelt und Stalin. Stuttgart: Steiner 1987.
- Entscheidung für den Westen. Bonn: Bouvier 1988.
- Das geteilte Deutschland in der Weltpolitik. München: Oldenbourg 1990.
- Militärmacht Japan? Sicherheitspolitik und Streitkräfte. München: Iudicium 1991.
- Teilung und Vereinigung Deutschlands als europäisches Problem. Bonn: Bouvier 1991.
- Epochen der Völkerrechtsgeschichte. Baden-Baden: Nomos 1984; 2. Aufl. 1988; englisch: The Epochs of International Law. Übers. von Michael Byers. Berlin: Walter de Gruyter 2000. Reprint 2012
Herausgeber
- Fontes Historiae Iuris Gentium: Quellen zur Geschichte des Völkerrechts/Sources to the History of the Law of Nations. 3 Bde. Berlin,
New York: Walter de Gruyter 1988-1995.
Vol. I: 1380 BC – 1493. (1995); Vol. II: 1493-1815. (1988); Vol. III, Part 1: 1815-1918. (1992); Vol. III, Part 2: 1919-1945. (1992) (mehrsprachig)
Aufsätze (Auswahl)
- Staatsform und Planung. In: Jahrbuch 1938. S. 35-54.
- Res publica christiana. Vom Wesen der mittelalterlichen Völkerrechtsordnung. In: Europäische Revue 16.1940, 10. S. 594-600. (= Vorarbeit zum Hauptwerk)
- Rechtsformen des ökonomischen Imperialismus im neunzehnten Jahrhundert. In: Zeitschrift für Politik 31.1941,4. S. 231-242.
- Der wirtschaftliche Kriegsschauplatz. In: Jahrbuch für auswärtige Politik 1941. S. 143-158.
- Die Epochen der modernen Völkerrechtsgeschichte. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103. 1943. S. 33-66; 260-294. (= Kurzfassung des Hauptwerks)
- Die völkerrechtliche Entwicklung im Jahre 1943. In: Jahrbuch der Weltpolitik 1944. S. 104-126.
- Die Völkerrechtspläne der Alliierten. In: Zeitschrift für Politik 34.1944, 7/8. S. 266-286.
- Macht und Recht im Völkerleben. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 105.1949,2. S. 201-227.
- Was ist klassisches, was ist modernes Völkerrecht? In: A. Böhm u.a. (Hrsg.), Idee und Realität des Rechts in der Entwicklung internationaler Beziehungen. Festgabe für Wolfgang Preiser. 1983. S. 111-131.
- Die Jahre der Entscheidung. Von der Besatzungsherrschaft zur Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. In: Manfred Funke (Hrsg.), Entscheidung für den Westen: Vom Besatzungsstatut zur Souveränität der Bundesrepublik 1949-1955.Bonn: Bouvier 1988. S. 93-113.
- Hallstein-Doktrin. In: Grewe 1991. S. 442-448.
- The History oft he United Nations. In: Bruno Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations: A Commentary. 1994. S. 1-23.
Festschrift (mit Bibliographie der Schriften Grewes)
- Friedrich J. Kroneck/Thomas Oppermann (Hrsg.), Im Dienste Deutschlands und des Rechts. Festschrift für Wilhelm G. Grewe zum 70. Geburtstag am 16. Oktober 1981. Baden-Baden: Nomos 1981. (mit Bibliogrphie der Schrifteh Grewes)
Autobiographie
- Rückblenden. Aufzeichnungen eines Augenzeugen deutscher Außenpolitik von Adenauer bis Schmidt. Berlin: Propyläen 1979.
- Ein Leben mit Staats- und Völkerrecht im 20. Jahrhundert. In: Freiburger Universitätsblätter Nr. 118, 1992. S. 25-40.
Sekundärliteratur
- Wilhelm Grewe. In: Der Spiegel vom 10.6.1959.S. 16-47. (Titelgeschichte)
- Fassbender, Bardo, Stories of War and Peace: On Writing the History of International Law in the „Third Reich“ and After. In: European Journal of International Law 13.2002,2. S. 479-512.
- Frowein, Jochen Abr., Wilhelm G. Grewe (1911-2000). In: Peter Häberle u.a. (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts: Deutschland, Österreich, Schweiz. Berlin: de Gruyter 2013. S. 937-943.
- Lambertz-Pollan, Ruth, Auf dem Weg zur Souveränität und Westintegration (1948-1955). Der Beitrag des Völkerrechtlers und Diplomaten Wilhelm Grewe. Baden-Baden: Nomos 2016.
- Hollerbach, Alexander, Öffentliches Recht an der Universität Freiburg in der frühen Nachkriegszeit. Aus Anlaß des 100. Geburtstags von Konrad Hesse am 29. Januar 2019. Tübingen: Mohr Siebeck 2019
Nachruf
-
Frohwein, Jochen Abraham, Wilhelm G. Grewe. In: Archiv des öffentlichen Rechts 125.2000. S. 299-301.
Links
- Die mindestens zwei Gesichter des Wilhelm G. Grewe im Kontext
Ulrich Menzel Link
- Dokumente zur NS-Vergangenheit Grewes
https://bit.ly/3er0Hhq
Videos mit Grewe
- „Politische Alternativlosigkeit“ 1931
link
- „Gründe für den Aufstieg der Nationalsozialisten“ 1933
link
- „Reaktionen auf Stalin-Note“ 1952
link
- „Verhandlungen in Moskau 1955“
link
(UM)
|